Skoliose und Rolfing

Skoliose - Berlin & München

Die Skoliose ist gekennzeichnet durch unsymmetrische Verspannungen im Muskel- und Fasziensystem des gesamten Körpers. Diese bewirken, dass der Körper sich im Verlauf von Monaten und Jahren langsam verdreht und zusammenzieht. So entsteht die bekannte S-Form der Wirbelsäule. Diese Verdrehung verursacht weitere Symptome wie Beckenschiefstand, ungleich hohe Schultern, Verspannungen und Kopfschmerzen bis hin zu einer reduzierten Lungenkapazität. Skoliotische Jugendliche haben meist keine Rückenschmerzen.

Die Skoliose wird definiert als eine seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule bei gleichzeitiger Rotation der Wirbel. Die Wirbelsäule bildet dabei Bögen in der allgemein bekannten S-Form oder C-Form, die sich kompensieren, um das Körpergewicht aufrechtzuerhalten.

Die idiopathischen Skoliosen entwickeln sich meist ab dem 3. Lebensjahr und verschlechtern sich in Zeiten verstärkten Wachstums insbesondere zwischen dem 10. und 16. Lebensjahr. Die Ursache für idiopathische Skoliosen (90 %) ist unbekannt. Funktionelle Skoliosen (10 %) erreichen nie die hohen Krümmungsgrade wie ideopathische Skoliosen. Sie entstehen beispielsweise infolge von Wirbelfrakturen, Operationen, Unfällen, Beinlängendifferenzen, Nervenerkrankungen.

Die schulmedizinischen Erkenntnisse und Behandlungsmethoden der Skoliose haben Sie vermutlich bereits auf einigen Webseiten ausgiebig studiert. Wenn nicht, so finden Sie eine gute Zusammenfassung dieser Fakten in Wikipedias Artikel über Skoliose.

Wie erkenne ich eine Skoliose?

Eine Skoliose können Sie an verschiedenen Merkmalen erkennen.

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  • Der Kopf sitzt nicht direkt mittig über dem Becken.
  • Die Schultern sind nicht gleich hoch.
  • Die Spitzen der Schulterblätter sind nicht gleich hoch.
  • Der Oberkörper weicht von der Mitte ab (Lotabweichung).
  • Die Taillendreiecke (Luftraum zwischen Arm und Hüfte, siehe Bild) sind unterschiedlich groß.
  • Eine Hüfte ist höher und steht hervor, eventuell mit Beinlängendifferenz.
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Skoliose

Foto: www.kid-check.de 

Beim Adams-Test neigt sich der Patient nach vorne und lässt die Arme locker herabhängen. Steht man hinter dem Patienten und schaut auf den gebeugten Rücken, so bemerkt man bei einer Skoliose:

  • eine Schulter hängt weiter nach unten die andere Schulter steht weiter nach oben (beginnender Rippenbuckel)
  • einseitig stärker ausgeprägte Lendenmuskulatur (der sog. Lendenwulst)
  • gekrümmter Verlauf der Wirbelsäule

Nur beim genauen Hinschauen erkennbare Verdrehungen der Wirbelsäule entsprechen häufig bereits einer seitlichen Verkrümmung von 20° nach Cobb. Der Facharzt bestimmt anhand eines Röntgenbildes den Cobb-Winkel der einzelnen Rückgratkrümmungen sowie die Verdrehung (Rotation) der Wirbel in der Senkrechten. Für den prognostischen Verlauf wichtige Daten sind das Alter und bei Mädchen die erste Regelblutung. – Da sich die Mehrzahl der unbehandelten Skoliosen verschlechtert, kommt der Früherkennung eine hervorragende Bedeutung zu.

Verlaufskontrolle

Nur 5 % der juvenilen Skoliosen sind nicht fortschreitend. Die übrigen 95 % nehmen bis zum Erreichen des 10. Lebensjahres jährlich um etwa 1 bis 5° zu. In der Adoleszenz, also nach dem 10. Lebensjahr, nehmen sie während des pubertären Wachstumsschubs um 5 bis 10° pro Jahr zu. Innerhalb eines Jahres kann sich der Winkel um bis zu 40° verschieben. Deshalb ist eine 3 bis 6-monatige Verlaufskontrolle durch den Facharzt unerlässlich.

Röntgen
Röntgenaufnahmen sind für die Diagnosestellung notwendig, bedeuten aber eine Strahlenbelastung. Deshalb sollten sie zum Zweck der Verlaufskontrolle keinesfalls häufiger als alle 6 Monate bei Kindern, alle 12-18 Monate bei Jugendlichen und alle 24 Monate bei Erwachsenen stattfinden(2) .

Rasterstereografie = 3D-Wirbelsäulenvermessung
Rasterstereografie ist eine lichtoptische Vermessung der Rückenoberfläche. Sie eignet sich zwar nicht für die Diagnose, jedoch liefert sie hinreichende Ergebnisse für die Verlaufskontrolle. Sie ist Stand der Technik und wird in Kombination mit dem Röntgen eingesetzt.

Medimouse / Spinalmouse
Die Medimouse ist ein der Computermaus ähnliches Gerät, mit dem der Arzt die Wirbelsäule entlangfährt. Auf dem PC-Bildschirm zeigt sich ein dreidimensionales Bild der Rückenlinie. Das System eignet sich für die Verlaufskontrolle und die Verfolgung des Therapiefortschritts.

EOS 3D-Low-dose-Röntgen (Promotion Video)
Das EOS Röntengengerät ist eine Alternative zum klassischen Röntgen und liefert 3D-Röntgenaufnahmen mit einer bis zu 80 % verringerten Strahlenbelastung. Im deutschsprachigen Raum wird es jedoch nur in wenigen Kliniken eingesetzt: an der Uniklinik Heidelberg, dem Klinikum Dortmund, der Uniklinik Friedrichsheim, der Klinik Bad Sobernheim und dem Klinikum Balgrist in Zürich. Sie müssen mit 250 Euro pro Aufnahme rechnen.

Die Forschung nach der Ursache

Progression der Skoliose
Zum Fortschreiten der Skoliose tragen verschiedene Faktoren bei, so die Gravitation selbst, Muskelaktionen, der menschliche Gang, wachstumsinduzierte  Torsion(3), und das Davis’sche Gesetz(4), welches besagt, dass Sehnen und Bänder sich verkürzen, wenn sie nicht benützt werden bzw. zu lose sind.

Ursache der ideopathischen Skoliose
Zum Stand der Forschung:  Leichte Störungen mit dem Gleichgewichtssinn (vestibulare Dysfunktion und Nystagmus) wurden bei Patienten mit Skoliose gehäuft angetroffen. Studien aus den letzten Jahren beschäftigen sich zunehmend mit diesem Thema(5),(6). Auch wird überlegt, ob vestibuläre Asymmetrien die Ursache für die ideopathische Skoliose sein könnten (7),(8). In einer Metastudie wird die Hypothese formuliert, der Ursprung der Skoliose liege in einer leichten Asymmetrie des neuromuskulären Systems(9).

Diese Informationen möchte ich Sie bitten zu berücksichtigen, wenn Sie die nachfolgenden Therapie-Optionen betrachten.

Welche Optionen gibt es?

Kieferorthopädische Untersuchung
Eine kieferorthopädische Untersuchung ist sicher sinnvoll, da ein Zusammenhang zwischen Skoliose, Fußgewölbeschwäche, Beckenschiefstand, funktioneller Beinlängendifferenz, Asymmetrien der Halswirbelsäule und Kieferasymmetrien besteht(10). Idealerweise wird die Bissebenenhöhe mittels Techniken der Professional Applied Kinesiology (PAK) ausgetestet. Danach erfolgt die Korrektur durch einen in craniomandibulärer Dysfunktion (CMD) versierten Zahnarzt.

Sensomotorische Einlagen
Die Wirksamkeit von sensomotorischen Einlagen steht deshalb immer wieder in der Diskussion(11), weil es große Unterschiede in der handwerklichen Anfertigung gibt(12) und häufig Fehler bei Beratung, Produktwahl und Anwendung gemacht werden. Der Einsatz von sensomotorischen Einlagen ist bei Beschwerden, die von den Füßen ausgehen, angesagt. Einlagen haben jedoch den Nachteil, dass die Füße sich schnell an den Reiz gewöhnen und dann nicht mehr darauf reagieren. Deshalb sollte klar sein, dass Einlagen keine Dauereinrichtung über viele Monate oder gar Jahre seien können(13). Damit die Füße die Einlagen bald nicht mehr brauchen, sind Fußkräftigungsübungen, Balanceübungen und manuelle Therapie zusätzlich notwendig.

Schroth-Methode
Die Schroth-Methode wird seit vielen Jahren erfolgreich angewendet. Schwere Skoliosen lassen sich in Reha-Kliniken wie Bad Sobernheim oder Bad Salzungen behandeln. Leichtere Skoliosen können Sie bei Physiotherapeuten mit Schroth-Ausbildung behandeln lassen. Die Methode basiert auf einer Kombination von Körperübungen und intensiver Atmung. Mithilfe der sogenannten Dreh-Winkel-Atmung und körperlicher Streckung wird eine Entdrehung oder Entwindung der Wirbelsäule bewirkt. Mit dieser Methode konnten erhebliche Fortschritte bei selbst schwersten Skoliosen erzielt werden, wie durch viele Studien belegt ist. Das Buch von Christa Lehnert-Schroth Dreidimensionale Skoliosebehandlung: Atmungs-Orthopädie System Schroth“ gibt darüber Auskunft.

Voita-Methode
Die Voita-Medthode beruht auf der Aktivierung von Reflexkriechen, Reflexumdrehen und Reflexlokomotion (Reflexkrabbeln). Prof. Václav Voita hat die Methode an Neugeborenen entwickelt, inzwischen findet sie auch bei Erwachsenen Anwendung. Durch wiederholtes Auslösen der reflexartigen Bewegung kommt es zu einer Freischaltung und Neubahnung innerhalb der blockierten nervlichen Netzwerke zwischen Gehirn und Rückenmark. Die Methode hat ein breites Wirkspektrum, so zum Beispiel bei zerebralen Paresen, Skoliosen oder Hüftdysplasien. Sie wird von Physiotherapeuten mit Voita-Ausbildung angeboten. Die Methode sollte drei- bis viermal am Tag für jeweils 20 Minuten von der Mutter an ihrem Kind oder vom Partner angewendet werden. Bei Babys kann man das gut umsetzen, bei Jugendlichen und Erwachsenen mit Skoliose scheint es eher schwierig, die Methode in den Alltag zu integrieren.

Spiraldynamik
Spiraldynamik ist ein dreidimensionales Bewegungskonzept, das gelegentlich von Physiotherapeuten angeboten wird. Das Prinzip und die Übungen aus der Spiraldynamik werden in der Skoliose-Behandlung eingesetzt. Man versucht hier, die skoliotische Verdrehung des Körpers mit einer natürlichen Gegenspirale aufzulösen. Mit dem Bewegungskonzept haben Sie einen schönen Einstieg, um die Funktionsweise Ihres Körpers in der Bewegung zu verstehen. Studien über die Wirksamkeit gibt es nicht. Die Spiraldynamik AG bietet für Skoliose-Patienten 3-Tages-Seminare in Zürich an. Mit dem Buch „Skoliose Aufrecht durch Bewegung: Die besten Übungen aus der Spiraldynamik“ von Christian Larsen bekommen Sie eine gute Einführung und erkennen gleichzeitig die Grenzen der Methode.

Yoga, Pilates und Gyrotonic
Sie können Yoga, Pilates oder Gyrotonic begleitend zur Skoliose-Therapie sinnvoll einsetzen. Jedoch gilt es zu bedenken, dass Sie mit den globalen Dehnungen dem Körper zwar helfen elastischer zu werden, doch erreichen Sie mit der Dehnung meist nicht die „hot spots“, also die lokal hoch verspannten Stellen im Körper, und laufen Gefahr, dass die Wirbelsäule deshalb ins skoliotische Muster ausweicht, und die Skoliose dadurch verstärkt und schneller fortschreitet (14). Die Methoden eignen sich daher nur unter fachkundiger Anleitung als Begleitung zur manuellen Skoliose-Therapie.

Sport
Tänzer, Schwimmer und Gymnasten haben ein geringeres Risiko für Skoliose(15), und grundsätzlich schadet Sport bei Skoliose nicht (16). Vielmehr fördern Sport, Tanz und körperliche Spiele die Geschicklichkeit, die Fähigkeit zu balancieren und die generelle Körperwahrnehmung. Sie tragen dazu bei, dass Therapien wie die Schroth-Methode oder manuelle Therapien wie Osteopathie oder Rolfing besser greifen. Förderliche Sportarten sind Klettern, Bouldern, Slacklining (Balancieren), Schwimmen, Reiten, Tanzen, Ballett, Leichtathletik, Bodenturnen und Pilates. Vermeiden sollten Sie Gewichtheben, Turmspringen, Golf, Tennis, Kunstturnen oder Bodybuilding. Auch Krafttraining ist der falsche Ansatz, denn Sie können die Skoliose nicht durch den Aufbau einzelner Muskeln wegtrainieren. Vielmehr gilt es, ein neues Bewegungsmuster durch die Aktivierung von Muskelketten – die möglichst von Kopf bis Fuß reichen – zu erlernen und in Ihren Alltag und in Ihren Sport zu integrieren, damit diese Bewegung zur zweiten Natur wird.

Balanceübungen
Propriozeption ist der Sinn für die Lage Ihres Körpers im Raum und hilft dem Menschen zusammen mit der Tiefensensibilität und dem Gleichgewichtssinn, sich aufzurichten, sich zu bewegen, zu gehen und auch zu balancieren. Skoliose-Patienten haben hier Defizite, weil die interne Landkarte ihres  Körpers, repräsentiert im Gehirn, teilweise verzerrt oder nicht genug ausgeprägt ist(17). Dies bewirkt, dass Skoliose-Patienten sich krumm bewegen, jedoch glauben, dass sie gerade sind. Hier können Balanceübungen, die möglichst vor dem Spiegel ausgeführt werden, helfen, diese interne propriozeptive Landkarte mit der Realität abzugleichen. Deshalb sollten Balanceübungen bei jeder Skoliose-Therapie eingesetzt werden. Durch häufiges Balancieren werden die neuen Bahnen im Gehirn verstärkt. So können sich Bewegungsmuster verändern, der Körper lernt, sich in einer unsicheren Situation stabil und gleichzeitig elastisch zu verhalten, und die Körperhaltung wird verbessert. Früher hat man zu diesem Zweck jungen Mädchen ein Buch auf den Kopf gelegt oder sie auf einem Seil laufen lassen. In meiner Praxis setze ich gerne das Tuning Board von Darrell Sanchez ein.

Somatic Experiencing SE
Die Somatic Experiencing® Methode beschäftigt sich unter anderem mit Störungen im Nervensystem, die auch den Gleichgewichtssinn betreffen können. Diese Störungen können in früher Kindheit entstanden sein oder sind durch traumatische Ereignisse bedingt. In der SE-Therapie wird das autonome Nervensystem veranlasst, sich neu zu orientieren, wodurch auch Gleichgewichtsstörungen aufgelöst werden können. Diese sind eng mit der Orientierungsreaktion verknüpft, der Basis, von der aus das Gehirn eine Bewegung projektiert und dann ausführt. Die SE-Methode wird keine Skoliose beseitigen können, aber sie kann Ihnen helfen, eine sichere Basis zu finden.

Chiropraktik
Der American Chiropractic ist in den USA ein eigenständiger Beruf, der in manchen Bundesstaaten sogar operieren darf. Für die Behandlung von Skoliose vermarkten die dortigen Chiropraktiker gerne eine Kombination aus Chiropraktik, Schroth-Methode und SpineCore-Korsett. Die Vermarktungsstrategien und die Ethic des Berufszweiges stehen in den USA in der Diskussion(18). In Deutschland ist der American Chiropractic nur selten anzutreffen. Hier in Deutschland darf die Chiropraktik vom Arzt oder Heilpraktiker mit entsprechender Zusatzausbildung ausgeübt werden. Aus meiner Sicht kann sie bei sehr schweren Skoliosen ergänzend zur manuellen Therapie wie z.B. Rolfing oder Osteopathie durchaus sinnvoll eingesetzt werden.

Osteopathie
In den angloamerikanischen Ländern und in Europa ist die Osteopathie ein anerkannter Berufszweig mit umfangreicher Ausbildung. In letzter Zeit versucht man verstärkt, die Wirksamkeit der Methode durch Studien nachzuweisen, was teilweise gelingt. Für die Behandlung von Skoliosen von Kindern im Anfangsstadium ist die Osteopathie sicher eine gute Wahl. Auch eignet sie sich für die Behandlung von Funktionsstörung die durch die Skoliose im Bereich der Organe und der feine Häute im Gehirn verursacht werden. Die Osteopathie ist ein in sich geschlossenes Medizinsystem, das den Prinzipien angewandter Anatomie, Physiologie und Pathologie folgt. Sie geht davon aus, dass der Körper eine Einheit ist, welcher sich immer als Ganzes an Gesundheit und Krankheit beteiligt.

Rolfing
Rolfing® – Strukturelle Integration wird in letzter Zeit öfter mit Erkenntnissen aus der Faszienforschung durch Robert Schleip(19) in Verbindung gebracht(20). Die Eigenschaften von Faszien werden durch diese Forschungen neu definiert; diese Erkenntnisse finden in der Fitness- und Sportgemeinde Beachtung und werden auf Kongressen diskutiert(21). Im Rolfing arbeitet man mit den faszialen Strukturen im Körper, um chronische Verspannungen zu lösen und so dem Körper zu ermöglichen, sich aufzurichten und frei zu bewegen. Entsprechend eignet sich Rolfing hervorragend für die Behandlung von Skoliosen. Jede Skoliose ist eine langsame Bewegung, bei der sich der Körper in sich verdreht und gleichzeitig zusammenzieht, sodass die Wirbelsäule seitlich ausweicht. Das gesamte Fasziensystem vom Kopf über die Wirbelsäule bis hin zu den Füßen ist von dieser skoliotischen Verwindung betroffen. Im Rolfing arbeiten wir daran, diese skoliotische Verwindung zu entwinden, also eine De-Rotation und De-Kompression der Wirbelsäule zu erreichen. – Es gibt beeindruckende Fallbeispiele dafür, was die Rolfing-Methode leisten kann.

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Erik Dalton beschreibt in „Scoliosis: A Case Study“ wie er dieses Mädchen 1993 mit der Rolfing-Methode behandelte. Die beiden Fotos liegen 3 Jahre auseinander(22).


Dynamische Korsetts
Eine Alternative zum Hartschalenkorsett ist das dynamisch korrigierende Korsett von SpineCore. Es ermöglicht dem Körper die notwendige Bewegungsfreiheit, kann unter der Kleidung getragen werden und findet bei Kindern und Erwachsenen bis zu einem Winkel von ca. 30° nach Cobb Anwendung. Eigentlich ist es kein Korsett, sondern eher eine Art Bandage, die den Körper sanft ins neue Bewegungsmuster drängt. Die SpineCore-Korsetts eignen sich jedoch nicht für jede Skoliose, sie verlangen vom Orthopädietechniker Geschick und Sachverstand und vom Patienten engagiertes Verhalten. Aktuell sind SpineCore-Korsetts in Deutschland nur in Freiburg erhältlich.

Hartschalenkorsetts
Die Auffassung, dass man abwartet und nichts tut, bis die Skoliose 20° erreicht hat, um dann ein Korsett zu verordnen, teile ich nicht. Vielmehr sollten selbst geringgradige Skoliosen möglichst früh behandelt werden. Hartschalenkorsetts werden immer wieder kontrovers diskutiert. Sie vermindern die Lebensqualität(23), und reduzieren die Vitalkapazität der Lunge, weil sie die Rippen zusammendrücken(24). Die verringerte Lungenfunktion ist mit der eines Rauchers vergleichbar. Korsetts schränken die Bewegung ein, weshalb die Rücken- und Bauchmuskeln atrophieren (schrumpfen); langfristig können durch die mangelnde Bewegung Gelenkprobleme entstehen. Das Korsett behindert die Beweglichkeit in einer Zeit, in der Jugendliche ihren Körper intensiv ausprobieren und sich viel bewegen sollten. Wird das Korsett abgelegt, tendiert der Körper zurück ins skoliotische Muster, weil er kein neues Bewegungsmuster anlegen konnte. Deshalb muss es „ausgeschult“, also langsam abgelegt werden. Hinter dem Korsett steht die Idee, man könne die Skoliose aus dem Rückgrat seitlich herausdrücken. Dies ist eher eine mechanische als eine neurologische Sichtweise. Ist der Rücken leicht krumm und denkt das Gehirn, er sei gerade, so macht eine Bewegungstherapie mehr Sinn als eine Immobilisierung durch ein Korsett. Trotzdem werden Korsetts weiter verordnet, weil sie sich bedingt bewährt haben. Die Korsett-Technik wurde in den letzten Jahrzehnten verfeinert, jedoch ist die Erfolgsquote zwischen den Korsett-Typen sehr unterschiedlich(25). Leider kann man nicht voraussagen, ob und wie stark sich eine Skoliose verschlechtern wird. Deshalb sind Korsetts nach einer Studie in Abhängigkeit von der Tragedauer zu 72 % erfolgreich, gegenüber 48 % in der Kontrollgruppe, die ohne Korsett auch keine Verschlechterung erfahren haben. Mit anderen Worten: Zum großen Teil sind Korsetts unnötig, nur weiß man nicht, wann(26),(27). Zusammenfassend lässt sich sagen: Falls sich die Skoliose trotz Anwemdung alternativer Therapie-Methoden und all Ihrer Bemühungen zusehends verstärkt, kann das Korsett notwendig werden.

Operation
Seitens der Schulmedizin wird die Operation ab einem Winkel von 40° nach Cobb empfohlen. Bei der Operation werden Metallstangen eingebaut und Wirbelsäulenabschnitte versteift. Die Rate an Komplikationen durch die Operation wird als hoch eingestuft(28). 19 % der Operierten müssen nachoperiert werden(28). 10 % haben postoperative Schmerzen für länger als ein Jahr(29). 25 % der Operierten haben chronische Schmerzen und suchen deshalb nach Jahren eine Schmerzklinik auf(29). 15 % der Kinder berichten fünf Jahre nach der Operation von moderaten bis heftigen Schmerzen(30).  Jugendliche sagen, sie hätten fünf Jahre nach der Operation mehr Schmerzen im Vergleich zu zwei Jahren nach dem Eingriff(31). Die Misserfolgsrate von Wirbelsäulenoperationen wird sehr unterschiedlich bewertet und es scheint schwierig zu sein, den Misserfolg anhand von Faktoren wie zum Beispiel Tabakkonsum, Adipositas, Depression, sozialen Faktoren oder Stress vorhersagen zu können(32). Die Entscheidung für oder gegen eine Operation wird auch unter Experten diskutiert und in lesenswerten Metastudien untersucht(25),(33). Übersichtlich und für den Laien verständlich ist die Liste der Pros & Kontras von kidhealth.com(34). – Die Entscheidung ist sicher nicht leicht und hängt immer vom Einzelfall ab. Wenn Sie sich zu einer Operation durchgerungen haben, brauchen Sie ein OP-Team, dass Sie gut berät und auch nach der Operation betreut.

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Graphik: Scoliosis Syndrome By Karena Thek


Meine Empfehlung

Sie werden nicht all die oben genannten Therapieoptionen brauchen oder wahrnehmen können. Deshalb hier nun meine Empfehlung.

  • Facharzt:
    Verlaufskontrollen bitte regelmäßig besuchen
    sensomotorische Einlagen bitte abklären
    Bisskorrektur durch den Kieferorthopäden bitte abklären
  • Physiotherapie:
    Spiraldynamik, Schroth-Methode, möglichst aus einer Hand beim Physiotherapeuten – damit Sie in die Bewegung kommen und Ihre Bewegungsmuster kennenlernen.
  • Sport
    Mindesten 3 Mal pro Woche z. B. Klettern, Joggen, Schwimmen, Wasseraerobic etc.
  • Manuelle Therapie:
    Rolfing oder Osteopathie oder beides – damit die chronischen Spannungen in den Muskeln und Faszien schrittweise gelöst werden.
  • Bewegungsschulung:
    Sie brauchen einen Coach für Bewegung, für Körperhaltung und für Ihre Selbstwahrnehmung des Aufrechtstehens. Dies kann ein Feldenkreis-Lehrer, Tanzlehrer oder Pilates-Trainer sein.
  • Balanceübungen
    Balancieren sollten Sie täglich ein paar Minuten. Es hilft Ihnen, Stabilität aufzubauen, und trainiert das Nervensystem. Ich habe es als Extra-Punkt aufgeführt, weil diese Übung so essenziell ist.

Meine Arbeitsweise

Wir werden in meiner Praxis auf Ihre Bedürfnisse speziell zugeschnittene Übungen finden, die Sie in Ihren Alltag integrieren können. Wir arbeiten an Ihrer Haltung, an Ihrem Gang und an der Art und Weise, wie Sie auf Stühlen sitzen. Wir schauen uns jene Bewegungen an, die Ihrem Körper fehlen, die er verlernt hat oder nicht kennt, und erkunden dann neue Bewegungsmöglichkeiten. Wir erforschen, wie Sie Stabilität und Länge in Ihrem Körper erzeugen können. Es geht hier nicht um Kontrolle die Sie ihrem Körper aufzwingen, sondern eher um ein spielerisches Suchen, Ausprobieren und Erkunden von Neuland.

Den Weg zu dieser neuen, stabilen und doch beweglichen Haltung werde ich Ihnen ebnen, indem ich mit der Rolfing-Methode hinderliche Verspannungen in Ihrem Körper löse. Zu diesem Zweck werden Sie in jeder Session mehr als die Hälfte der Zeit auf der Massagebank liegen.

Aber viel wesentlicher ist, dass Sie in Ihrem Alltag aktiv werden, dass Sie immer wieder versuchen, bewusst mit Ihrem Körper umzugehen, und dass Sie Freude am kreativen Spiel mit der Bewegung finden, dass Sie Sport treiben oder tanzen und ein Gefühl für Balance entwickeln.

Das ist der Weg, auf dem ich Sie oder Ihr Kind begleiten kann.

Journal Rückenzeit

In dem Journal Rückenzeit finden Sie ein Interview mit Stephan Lautz zum Thema Skoliose. Einfach aufs Bild klicken oder hier.

Quellen:

1  Quelle Foto: www.kid-check.de Die Aktion gegen Haltungsschwäche!
2  „SOSORT 2012 consensus paper: reducing x-ray exposure in pediatric patients with scoliosis“ Patrick Knott, Eden Pappo, published 2012
3  „2011 SOSORT guidelines: Orthopaedic and Rehabilitation treatment of idiopathic scoliosis during growth“ Stefano Negrini, published 2011
4  Davissches Gesetz Wikipedia
5  „Development of Auditory and Vestibular Systems“ Book by  R. Roman Seite 501
 „Horizontal postrotatory nystagmus response in female subjects with adolescent idiopathic scoliosis“ Jensen GM, published 1979
7  „Vestibular Asymmetry as the Cause of Idiopathic Scoliosis: A Possible Answer from Xenopus“ François M. Lambert, published 2009
8  „Does adolescent idiopathic scoliosis relate to vestibular disorders? A systematic review.“ Catanzariti JF published 2014
9  „Hypothesis on the Pathogenesis of Idiopathic Scoliosis“ F.H: Wapstra , published 2012
10  „Wechselwirkungen zwischen Körper- und Kieferasymmetrie? Untertitel: Bedeutung der pädiatrischen Vorsorgeuntersuchung mit kieferorthopädisch-orthopädischem Screening“ Heike Korbmacher, Dr. med dent, Gerald Eggers-Stroeder
11  „Sensomotorische Einlagen: Bei Beschwerden können sie helfen?“ BR Fernsehen
12  www.fussgesundheit.info
13  „Effektivität und Wirksamkeit einer funktionell-dynamischen Schuheinlagenversorgung im Sport“ Heiner Baur, Dissertation 2004,  S. 119 ff
14  „Probleme mit Hatha-Yoga-Übungen bei Skoliose“von Christa Lehnert-Schroth, ca 2014
15  „Physical activities of Patients with adolescent idiopathic scoliosis (AIS): preliminary longitudinal case–control study historical evaluation of possible risk factors“ Marianne E McMaster, published 2015
16  „Is physical activity contraindicated for individuals with scoliosis? A sytematic literature review“ Bart N. Green, published 2008
17  „Scoliosis and Proprioception“ by Robert Schleip published 2000
18  „Chiropractic controversy and criticism“ Wikipedia
19  www.somatics.de Webseite von Dr. Robert Schleip
20  Deutsche Gesellschaft für Myofascial Release e.V.
21  Fascia Research Congress
22  „Scoliosis: A Case Study“ Eric Dalton, ca 1993
23  „Outcome assessment of bracing in adolescent idiopathic scoliosis by the use of the SRS-22 questionnaire“ Kenneth M.C. Cheung, 2006
24  „Pulmonary restrictive effect of bracing in mild idiopathic scoliosis“ J D Kennedy, published 1987
25  „2011 SOSORT guidelines: Orthopaedic and Rehabilitation treatment of idiopathic scoliosis during growth“ Stefano Negrini, published 2011
26  „Auswirkungen einer Korsettversorgung bei Jugendlichen mit einer idiopathischen Skoliose: die BRAIST – Studie“ Carolin Reuschel
27  „Effects of Bracing in Adolescents with Idiopathic Scoliosis“ Stuart L. Weinstein, published 2013
28  „Rate of complications in scoliosis surgery – a systematic review of the Pub Med literature“ Hans-Rudolf Weiss, published 2008
29  „Persistent pain in patients following scoliosis surgery“ G. T. C. Wong, V. M. Y. Yuen, published 2007
30  „Pain prevalence and trajectories following pediatric spinal fusion surgery.“ Sieberg CB, published 2013
31  „Adolescent idiopathic scoliosis patients report increased pain at five years compared with two years after surgical treatment.“ Upasani VV, published 2008
32  „Predictors of surgical outcome and their assessment“ Anne F. Mannion, published 2006
33  „Adolescent idiopathic scoliosis – to operate or not? A debate article“ Hans-Rudolf Weiss, published 2008
34  „Cons of Having or Not Having Surgery“ and „Pros of Having or Not Having Surgery“ by www.aboutkidshealth.ca
35  Quelle Foto: Muscle Imbalances and Scoliosis


Bei Fragen stehe ich Ihnen gerne in meiner Praxis in München oder Berlin zur Verfügung. Hier finden Sie die Kontaktseite.